Das aktuelle Urteil: Nachehelicher Betreuungsunterhalt

Erstmals seit Inkrafttreten der Unterhaltsreform zum 01.01.2008 hat sich der Bundesgerichtshof im nachfolgenden Urteil zu Rechtsfragen des nachehelichen Betreuungsunterhalts geäußert.

Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18.03.2009 - XII ZR 74/08:
Zur Dauer des nachehelichen Betreuungsunterhalts

Sachverhalt
Im Streitfall ging es um nachehelichen Unterhalt für die geschiedene Ehefrau, die einen im Jahr 2001 geborenen gemeinsamen Sohn der Parteien zu betreuen hat. Dieser besuchte ab 2005 eine Kindertagesstätte mit Nachmittagsbetreuung und geht seit September 2007 zur Schule und danach bis 16.00 Uhr in einen Hort. Er leidet an chronischem Asthma. Die klagende Mutter ist verbeamtete Studienrätin und seit August 2002 mit knapp 7/10 einer Vollzeitstelle (18 Wochenstunden) erwerbstätig.

Vom Amtsgericht wurde der geschiedene Ehemann zur Zahlung von nachehelichem Betreuungs- und Aufstockungsunterhalt verurteilt, mit seiner Berufung begehrte er eine Herabsetzung des monatlichen Unterhalts und eine zeitliche Befristung der Unterhaltszahlungen. Die Berufung wurde vom Kammergericht zurückgewiesen. Auf seine Revision hat der Bundesgerichtshof die Entscheidung des Kammergerichts aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Kammergericht zurückverwiesen.

In seiner Entscheidung hat der Bundesgerichtshof zu den bislang nach neuem Unterhaltsrecht nicht gekläärten Rechtsfragen, unter welchen Voraussetzungen dem betreuenden Elternteil eines Kindes ein Unterhaltsanspruch zusteht und ob dieser Anspruch zeitlich befristet werden kann, Stellung genommen.

Betreuungsunterhalt und Erwerbsobliegenheit
Bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes steht dem betreuenden Elternteil ein Anspruch auf Betreuungsunterhalt kraft Gesetzes zu. Eine Erwerbstätigkeit kann in dieser Zeit vom betreuenden Elternteil nicht verlangt werden. Dieser kann sogar eine bestehende Erwerbstätigkeit wieder aufgeben. Einkommen das in dieser Zeit durch Erwerbstätigkeit erzielt wird, ist als Überobligatorisch anzusehen. Es kann nach den Umständen des Einzelfalls allerdings beim Unterhalt anteilig berücksichtigt werden.

Für die Zeit ab Vollendung des dritten Lebensjahres steht dem betreuenden Elternteil seit 01.01.2008 nur noch dann ein Unterhaltsanspruch wegen Betreuung des Kindes zu, wenn dies unter Berücksichtigung der Gestaltung von Kindesbetreuung und Erwerbstätigkeit der Ehe sowie der Dauer der Ehe der Billigkeit entspricht. Es wird allerdings kein abrupter Wechsel von der Betreuung zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit verlangt. Es ist auch ein gestufter Übergang möglich.

Berücksichtigung der konkreten Betreuungsmöglichkeiten und Kindesbelange

Der Bundesgerichtshof verlangt insbesondere die Berücksichtigung der Belange des Kindes. Es ist daher im individuell zu entscheidenden Fall konkret zu klären, ob und in welchem Umfang die Betreuung des Kindes auf andere Weise als durch Betreuung durch den Elternteil gesichert ist. Dabei wird vom Bundesgerichtshof anerkannt und klargestellt, dass der Gesetzgeber durch die Änderung des Unterhaltsrechts den Vorrang der persönlichen Betreuung durch einen Elternteil ab Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes aufgegeben hat. Es ist daher im Einzelfall zu klären, welche Betreuungsmöglichkeiten (Kindergarten, Tagespflege, Kindertagesstätte, Hort, etc.) vorhanden sind und ob diese Möglichkeiten die Betreuung des Kindes sicherstellen können. In diesem Zusammenhang sind auch gesundheitliche Einschränkungen des Kindes und die daraus folgende Betreuungssituation zu berücksichtigen. Eine Obliegenheit zur Inanspruchnahme kindgerechter Betreuung findet erst dort ihre Grenze, wo die Betreuung nicht mehr mit dem Kindeswohl vereinbar ist. Dies ist bei Öffentlichen Kindergärten, Kindertagesstätten oder Kinderhorten in der Regel nicht der Fall. Mit dieser Entscheidung hat der Bundesgerichtshof abweichenden Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur eine Absage erteilt, die eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts allein vom Kindesalter abhängig machen.

Wird die Kindesbetreuung nicht hinreichend gesichert, kann sie auch nicht durch die Inanspruchnahme von kindgerechten Einrichtungen aufgefangen und das Kind aufgrund seines Alters noch nicht sich selbst überlassen werden, so besteht für den betreuenden Elternteil nur eine eingeschränkte Erwerbspflicht. Es kommt eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts über das dritte Lebensjahr des Kindes hinaus in Betracht.

Berücksichtigung elternbezogener Gründe
Auch wenn ausreichende, geeignete Betreuungsmöglichkeiten vorhanden sind, die die Betreuung des Kindes sicherstellen, können nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs auch elternbezogene Gründe einer Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils entgegenstehen. Dies kann insbesondere der Umstand sein, dass der ihm verbleibende Betreuungsanteil neben der Erwerbsobliegenheit zu einer überobligationsmäßigen Belastung führen kann. Hinzu können weitere Gründe nachehelicher Solidarität kommen, etwa ein in der Ehe gewachsenes Vertrauen in die vereinbarte und praktizierte Rollenverteilung und die gemeinsame Ausgestaltung der Kinderbetreuung.

Auf die Betreuungsbedürftigkeit eines Kindes kommt es erst dann nicht mehr an, wenn das Kind ein Alter erreicht hat, in dem es sich zeitweise selbst überlassen bleiben kann und deshalb keiner durchgehenden Betreuung mehr bedarf. Einer Altersgrenze hat der Bundesgerichtshof auch hierfür eine Absage erteilt.

In dem vom Bundesgerichthof entschiedenen Fall hatte das Berufungsgericht nicht hinreichend berücksichtigt, dass das Kind nach Beendigung der Schulzeit bis 16.00 Uhr einen Hort aufsucht und seine Betreuung bis dahin sichergestellt ist. Der Bundesgerichtshof hat dem Berufungsgericht ferner aufgegeben, zu ermitteln, ob die Klägerin als Lehrerin im Fall einer vollschichtigten Erwerbstätigkeit über 16.00 Uhr hinaus arbeiten müsste. Es hat die Sache deshalb an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Aufgabe des Altersphasenmodells
Mit dieser Entscheidung hat der Bundesgerichtshof dem sog. Altersphasenmodell eine Absage erteilt. Er stellt nach der Änderung des Unterhaltsrechts nicht mehr auf das Alter der Kinder ab und leitet daraus den Umfang der Erwerbsobliegenheit ab, sondern er stellt vorrangig auf die unabhängig vom betreuenden Elternteil vorhandenen Betreuungsmöglichkeiten ab und prüft, ob hierdurch die Betreuung des Kindes während der Erwerbstätigkeit des betreuenden Elternteils sichergestellt werden kann. Hierauf werden sich geschiedene betreuende Elternteile in Zukunft einzustellen haben.

Befristung des Betreuungsunterhalts
Ferner hatte der Bundesgerichtshof die Frage zu klären, ob der Betreuungsunterhalt auf eine gewisse Zeit befristet werden kann. Eine solche Befristung scheidet nach Ansicht des Bundesgerichtshofs im Rahmen des Betreuungsunterhalts aus, weil in der gesetzlichen Regelung des Betreuungsunterhalts nach § 1570 BGB bereits alle Umstände des Einzelfalls abschließend zu berücksichtigen sind.

Allerdings hält der Bundesgerichtshof die Möglichkeit offen, die Höhe des Betreuungsunterhalts in Fällen, in denen keine ehe- oder erziehungsbedingten Nachteile mehr vorliegen, nach Ablauf einer Übergangszeit zu begrenzen. Im Einzelfall ist es daher möglich, dass der betreuende Elternteil auf einen Unterhaltsanspruch nach seiner eigenen Lebensstellung herabgesetzt werden kann. Im Streitfall lagen diese Voraussetzungen allerdings nicht vor.

Den vollständigen Urteilstext finden Sie auf den Webseiten des Bundesgerichtshofs.